Der Erdbeerkönig

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Es war einmal ein Mägdelein; kreuzbrav und schön wie der junge Tag, doch es besaß keinen roten Heller, so daß es schon seit mehreren Jahren bei einem reichen Bauern als Magd diente.

Magdalies, so hieß daß Mägdelein, war aber an Arbeit gewöhnt, und so tat sie diese gern, war fröhlich und wohlgemut, trotzdem sie einem gar unfreundlichen Ehepaar diente, denn vom Bauern sowohl wie von dessen Frau bekam sie selten ein gutes Wort zu hören.

Wenn sie aber draußen im Felde oder im Walde war, wo sie allerlei Arbeit für den Bauern zu verrichten hatte, dann sang sie wie eine Lerche, daß es eine Freude war, es zu hören, dann vergaß sie jeden Kummer, der sie etwa drückte.

Sie war gern im Walde. Gar oft im Jahre mußte sie Holz dort holen, daß ihr Rücken zuweilen von der schweren Last schmerzte und blaue Flecken bekam, denn Magdalies war zart und fein gebaut, und ihre weiße Haut gar empfindlich, daher die Bäuerin, die fast so dick wie lang war, die arme Magd oft im Spott „Prinzessin“ nannte.

Gar vieles hatte Magdalies außer dem Holzsuchen noch im Walde zu schaffen, denn wenn sie keine andere Arbeit mehr zu besorgen hatte, dann mußte sie von dort herbeischaffen, was die Jahreszeit bot. Beeren und Kräuter, die die Bäuerin in der Stadt verkaufte oder aus denen sie allerhand Heiltränke bereitete, späterhin Bucheckern, Schwämme und trockenes Laub.

Eines Tages nun, als Magdalies wieder im Walde Erdbeeren suchte und dabei fröhlich sang, traten plötzlich zwei Knappen aus dem Gebüsch zu ihr, um sie zu fragen, ob sie nicht den Königssohn gesehen habe. „Wir suchen ihn schon überall,“ sprachen sie weiter, „und seine Freunde, die edlen Ritter, durchstreifen den Wald ebenfalls, denn wenn er sich verirrt hat oder ihn ein Unfall betraf, so mögen sie sich auch nicht der Jagd erfreuen.“

Da Magdalies auch keine Auskunft zu geben vermochte, ihnen nur die Richtung, in der die Stadt liegen mußte, zeigen konnte, so waren die Knappen bald wieder im Dickicht verschwunden. Nur fern hörte sie noch Hundegebell; dann war wieder alles still wie vordem. Magdalies suchte weiter Erdbeeren und sang:

„Saß ein Vöglein auf dem Ast,
Fühlte nicht des Lebens Last;
Schmetterte aus voller Brust –
Zuzuhör’n war eine Lust.
Vöglein, Vöglein, Vöglein sing,
Geht die Arbeit dann gar flink!“

Wirklich flog in diesem Augenblick ein Vöglein auf den nächsten Ast und äugte hinab zu Magdalies, die es lächelnd entdeckte, ihm zunickte und ihren Vers wiederholte.

Sie war so mit Erdbeeren, Gesang und Vogel beschäftigt, daß sie gar nicht bemerkte, wie abermals jemand aus dem Dickicht trat.
Erschrocken sah sie sich um, als eine Stimme rief:

„Vögelein, dein Sang stimmt heiter, Singe noch ein wenig weiter!“

Ein Rittersmann stand in Jagdkleidung hinter ihr. Freundlich sprach er, als er ihren Schrecken bemerkte: „Habe keine Angst, Mägdelein, ich tue dir nichts zu Leide. Sahst du hier schon Ritter oder Knappen?“

„Ja, Herr,“ antwortete Magdalies; „sie suchten den verirrten Königssohn. Dorthin, in der Richtung nach der Stadt zu, sind sie gelaufen.“
Wie Magdalies nun sah, daß der junge Rittersmann sie gar gütig anblickte und nicht so stolz war, wie sie sich die Ritter immer gedacht hatte, fühlte sie ihre Angst schwinden, daß sie Mut fand, selbst eine Frage zu tun: „Edler Herr, gewiß seid Ihr auch einer der Freunde des Königssohnes und wollt diesen suchen?“

Der Ritter lächelte. „Du kennst den Königssohn wohl nicht, Mägdelein?“

„Nein, Herr, aber gern möcht’ ich ihn einmal sehen; er soll gut und edel sein, wie die Leute sagen.“

„So, sagen sie das, und glaubst du das auch?“

„Ja, Herr.“

„Ei,“ antwortete der Rittersmann, „da kann er sich freuen. Und weißt du, worüber ich mich freuen würde?“ Er zeigte auf ihre Erdbeeren und sprach weiter: „Seit Stunden irre ich im Walde umher, habe nicht Speise noch Trank bei mir, da möchte ich fragen, ob ich nicht einige von deinen Erdbeeren essen dürfte?“

„Wenn es Euch freut, gern. Nehmt, Herr.“ Magdalies hielt dem Ritter ihr Körbchen mit den roten Früchten hin, denen dieser auch wacker zusprach, während er dazwischen fragte: „Wer bist du? Woher kommst du? Wie heißest du?“

„Ich bin nur eine arme Dienstmagd, Herr, diene bei einem Bauern hier in der Gegend und heiße Magdalies.“

Der Ritter blickte gedankenvoll vor sich nieder; dann hub er wieder an: „Die Beeren deines Waldes munden gut; ich danke dir.“

„O, Herr,“ versetzte Magdalies, „der Wald ist des Königs Eigentum, gebührt es da nicht Euch, als einem Freunde des Königssohnes, von den roten Beeren zu essen, soviel es Euch beliebt? Vielmehr muß ich Euch danken, daß Ihr mich nicht zu schlecht hieltet, solche aus meinen Händen anzunehmen.“

„Du bist bescheiden, Mägdelein,“ entgegnete der Ritter. „Das gefällt mit wohl. Und wenn du mir das Recht an diesen Beeren zusprichst, so hast du doch die Mühe des Pflückens gehabt. Hier, nimm dieses dafür.“

Er reichte Magdalies ein Goldstück.

Doch erschrocken zurückweichend, wehrte sie: „Nein, Herr, das Geld nehm’ ich nimmer, denn verdient hab’ ich’s nicht, und brächt’ ich’s der Bäuerin, dächte sie wohl gar, ich hätt’s gestohlen.“

„Du brauchst es ihr ja nicht zu geben.“

„O, Herr, wenn ich auch arm bin, aber mein ehrlicher Name ist halt mein bester Besitz, den ich nimmer verlieren möcht’. Und für die Bäuerin, der ich diene, muß ich die Beeren pflücken. So gehört auch ihr, was ich damit verdiene. Laßt mich gehen, Herr, daß ich schnell die versäumte Zeit einhole.“

Der Ritter zog darauf eine Feder aus seinem Barett, die er Magdalies mit den Worten reichte: „So nimm wenigstens dieses Pfand meiner Dankbarkeit hier, das vielleicht einst der Königssohn einlösen wird. Bewahre die Feder auf; und wenn du einmal mit Beeren ins Schloß kommst, zeige dies Ding den Wächtern; dann werden sie dich einlassen.“

Magdalies trat wieder erschrocken zurück. „Ich,“ stammelte sie, „ich schlichte Magd sollte mich ins Schloß getrauen? Selbst die Bäuerin, obschon sie etwas vorstellen will, hat mit ihren Beeren das noch nicht einmal gewagt.“

Der Ritter blickte wieder einige Augenblicke nachdenklich vor sich hin, dann befragte er Magdalies über ihre Eltern, ihren Dienst und dergleichen. Er blickte ihr noch lange nach, als sie sich schon längst von ihm verabschiedet hatte.

„Braves Mägdelein,“ murmelte er. „Ich hoffe, ich sah dich nicht zum letzten Male.“ Dann eilte er den Knappen nach.
Magdalies aber besah sich die buntschillernde Feder und vergaß über dem Anschauen fast, die fehlenden Beeren nachzupflücken.

Die Bäuerin empfing Magdalies am Hoftor, wo sie nach der Magd ausschaute. „Bleibst lang heut’, Mädel,“ sagte sie hart. „Hast wohl gar geschlafen? Deine Beerenernte ist heut’ gering.“

Magdalies erwiderte nur sanft: „Nein, Bäuerin, warum sollt’ ich am hellen Gottestag schlafen? Dazu ist die Nacht gut.“

Sie hätte der Bäuerin wohl ganz ruhig von ihrem Zusammentreffen mit dem Ritter erzählt; doch nun wagte sie es nicht, denn sie fürchtete deren Spott und wollte schnell an ihre Arbeit gehen.

Aber die scharfen Augen der Bäuerin erspähten die im Mieder verborgene Feder, nach deren Herkunft sie fragte.

Eine Unwahrheit hätte Magdalies um keinen Preis gesagt, denn sie wußte sehr wohl, daß auch eine sogenannte Notlüge eine Sünde ist, daher berichtete sie endlich zögernd von ihrem Zusammentreffen.

Stirnrunzelnd, die Arme in die Seiten gestemmt, stand die Bäuerin wie eine Richterin vor dem Mädchen, dessen Schönheit neben ihrer eigenen Erscheinung besonders zur Geltung kam, wie sie mit Aerger fühlte.

„Bist ja eine saubere Dirn’!“ schalt sie: „Derweilen ich mich daheim schinden muß, tust du schön mit so einem scharwenzelnden Ritter, der meine Erdbeeren verzehrt und sie königlich mit einer wertlosen Feder bezahlt; Ha, ha, ha, ha, ein netter Freund des Königssohnes!“

Tief gekränkt vernahm die Jungfrau diese höhnenden Worte. Sie kannte die Art der Bäuerin nur zu wohl; doch da sie auf der Welt niemanden besaß, der sie in Schutz nehmen konnte, so hatte sie bei andern Anlässen keine Widerrede gewagt, sondern mit Sanftmut alles ertragen. Daß die Bäuerin aber solche Meinung vom dem edlen Ritter hegte, das konnte Magdalies nicht zulassen, und so verteidigte sie ihn mit edlem Eifer, indem sie auch von dem Goldstück erzählte.

Doch nun entbrannte erst recht der Zorn der Bäuerin. Sie machte, da sie sehr geldgierig war, der armen Magdalies die bittersten Vorwürfe, daß sie das Goldstück nicht genommen hatte, auf das die Bäuerin begründeten Anspruch zu haben glaubte.

Nun begannen noch weit freudlosere Tage für die arme Magdalies.

Zwar wurde sie noch oft in den Wald geschickt, um Beeren oder andere Dinge dort zu holen, da der dicken Bäuerin das Bücken gar beschwerlich fiel, aber sie hatte jedesmal ein Verhör zu bestehen, ob sie den Ritter nicht gesehen habe.

Magdalies sang nun noch selten unter dem grünen Laubdach, sondern ließ das Köpfchen oft wie ein betrübtes Vöglein hängen.

Es war seit jenem Zusammentreffen im Walde schon eine geraume Zeit vergangen; das Laub begann sich hier und dort schon gelblich zu färben.

Da kam die Bäuerin eines Tages ganz aufgeregt aus der Stadt zurück. Sie hatte die letzten, von Magdalies noch mühsam gesuchten Erdbeeren dort hingebracht und guten Verdienst damit gehabt.

Nun erzählte sie, daß in der Stadt große Aufregung geherrscht habe, da der König schwer erkrankt sei. Herolde seien durch die Straßen gezogen, die verkündigt hätten, daß seine Leibärzte Walderdbeeren für ihn brauchten. Wer die schönsten zu bringen vermöchte, sollte reich belohnt werden. Da hatte die Bäuerin, wie sie erzählte, kurz entschlossen ihre Beeren im Schloß angeboten, auch versprochen, noch mehr zu bringen. Sie konnte nicht genug beschreiben, wie prächtig schon die Treppen und Gänge gewesen seien. Wenn sie wieder hinkäme, würde sie schon noch mehr zu sehen bekommen, so meinte sie und sagte dann zu Magdalies: „Morgen früh, wenn die Sonne aufgeht, kannst du in den Wald gehen und mir noch ’mal die besten Erdbeeren holen!“

Magdalies erschrak: „Ach, Bäuerin,“ entgegnete sie zaghaft, „wenn ich nur wüßte, wo ich noch welche finden könnte, denn die Zeit ist vorbei.“

„Hast doch gehört, Mädel, ’s ist für den kranken König,“ erwiderte die Bäuerin scharf. „Hast junge Beine und einen jungen Rücken. Kannst ja meinetwegen noch weiter laufen, wo du noch nicht gesucht hast; denn findest du keine Erdbeeren, so bringst du mich vielleicht noch einmal um ein Goldstück.“

Den Vorwurf wollte Magdalies nicht nochmals hören, und so machte sie sich denn am anderen Morgen, als kaum der Tag graute, auf den Weg in den Wald.

Sie lief und suchte, aber nur hier und da fand sie eine einzelne Beere, so daß sie sich immer weiter und mühsamer durch das Gestrüpp arbeiten mußte, bis sie endlich so weit gelangte, wie sie noch nie gekommen war.

Ermüdet setzte sie sich zu kurzer Rast nieder, ratlos, wohin sie sich wenden sollte, um die gewünschten Beeren zu finden.

Als sie nun so vor sich hinblickte, vernahm sie plötzlich ein Rascheln im Gebüsch. Gleich darauf stieß sie einen leisen Schreckensruf aus, denn was sah sie?

Ein winziges Männlein, kaum ein paar Finger lang, schlüpfte dort heraus, das auf dem Kopfe ein Krönlein trug, das genau einer Erdbeerblüte glich. Aber die Blätter waren aus Gold, und statt der Staubgefäße glänzte ein prächtiger Diamant in der Mitte. Ein erdbeerrotes Mäntelchen umhüllte die kleine Gestalt, die mit possierlicher Würde auf das Mädchen zugeschritten kam, das vor Erstaunen über die wundersame Erscheinung wie gebannt auf diese schaute.

Nun stand das Männlein dicht vor ihr, sie aus kleinen, hellen Aeuglein freundlich anblickend, dann ließ es sich also vernehmen:

„Mägdlein, künde gleich es mir,
Was dich führt in mein Revier?
Sage mir’s nur ohne Scheu,
Was hier dein Begehren sei.“

Einen Augenblick zögerte Magdalies noch; dann faßte sie sich ein Herz und fragte: „Wer bist du denn, du kleines freundliches Wesen?“

Das Männlein heftete einen noch freundlicheren Blick auf die Jungfrau, indem es antwortete:

„Du kennst mich nicht?
Das kann schon sein;
Doch kenn’ ich dich,
Mein Mägdelein.
Ob Sommerzeit
Es war, ob kalt –
Ich sah dich, Maid,
Allhier im Wald.
Doch kamst du nicht,
Um hier zu ruh’n.
Ich kleiner Wicht
Sah all’ dein Tun.“

Bei diesen Worten faßte Magdalies sich ein Herz und erzählte dem Kleinen, was sie heut’ an diese entlegene Stelle geführt habe.

Sie verschwieg nichts und schloß ihren Bericht seufzend: „Ach, du gutes, kleines Wesen, wenn du mir nicht sagen kannst, wo ich noch Erdbeeren um diese Jahreszeit finde, dann muß ich alle Hoffnung, dem armen, kranken König zu helfen, aufgeben, und die Bäuerin jagt mich gewiß obendrein aus dem Dienst.“

Das Männlein betrachtete das schöne, jetzt so traurige Gesicht des Mägdleins forschend, wiegte einen Augenblick anscheinend überlegend sein winziges Köpfchen und sprach weiter:

„Ist’s weiter nichts,
Was du verlangst?
Dann tut’s nicht not,
Daß du dich bangst.“

„Wie, du könntest und wolltest mir helfen?“ Magdalies fragte es zaghaft, als wage sie noch nicht, den Worten des Männleins zu trauen.

Doch dieses zog plötzlich aus seinem Mantel einen gar zierlichen, wie ein Zepter geformten, goldenen Stab, an dessen Spitze eine aus einem prächtigen Rubin täuschend nachgebildete Erdbeere funkelte. Den Stab, oder vielmehr sein Zepter schulternd, sprach der Kleine dann würdevoll:

„Du hast mich: wer ich wär’, gefragt,
Und darum sei es dir gesagt:
Zwar bin ich klein, doch sonst nicht wenig,
Bin hier im Wald der Erdbeerkönig.“

Dann, Magdalies winkend, drehte er sich kurz um und schritt eilig voran, der freudig Erstaunten noch zurufend:

„Folge, Mägdlein, schnelle
Mir zur richt’gen Stelle.“

Und, o Wunder! Gar nicht weit von dem Platze, wo sie gesessen hatte, erblickte Magdalies nun, als sie ihrem kleinen Führer folgte, den vom Erdbeerkönig gemeinten Ort.

Rot, wohin sie blickte! Lauter Erdbeeren, und riesengroß, wie sie noch keine gesehen.

„O, lieber Erdbeerkönig,“ jubelte Magdalies, „wie herrlich sind diese Beeren! Und noch herrlicher ist es, daß ich sie pflücken darf. Aber wie geht das zu, daß sie so wunderbar gedeihen konnten?“

Der Kleine machte eine geheimnisvolle Bewegung, deutete auf die Beeren und erklärte:

„Erweckt in Frühlings Wonnezeit,
Erblüht in lieblich weißem Kleid;
Im Sonnenschein, im Tau der Nacht
Gereift, gefärbt, gepflegt, bewacht
Von mir und von den Erdbeerelfen,
Die mir, dem Erdbeerkönig, helfen.“

„O, wie gut ist das von dir, du lieber Erdbeerkönig, und was wird die Bäurin sagen, wenn ich heim komme.“

Das Männlein rief mit Eifer:

„Du selbst mußt sie dem König geben,
Dann rettest du sogleich sein Leben.“

Magdalies pflückte nun mit Eifer, wobei sie aber dem guten Erdbeerkönig nicht verhehlte, daß die Bäuerin selbst die Ehre, die Beeren abzuliefern, in Anspruch nehmen würde.

Doch der Erdbeerkönig erwiderte:

„Wer sich tausendmal gebückt,
Diese Beeren hat gepflückt,
Soll durch sie auch sein beglückt.“

Magdalies schien es, als ob jede Beere, die sie pflückte, noch schöner sei als die vorige.

Nicht lange währte es, so hatte sie ihren Korb bis oben voll, was ihr kaum in der besten Erntezeit gelungen war. Unschlüssig überlegte sie, ob sie nicht auch noch ihre Schürze voll pflücken solle, doch der Kleine, als ahne er ihre Gedanken, mahnte jetzt:

„Genug laß sein der Ernte heut, –
Komm morgen wieder, wenn’s dich freut.“

„O, gern komme ich wieder, du gütiger Erdbeerkönig, wenn mich die Bäuerin läßt und ich den Weg wieder finde. Ach ja, ich ginge schon gern zum Könige; das müßte eine Freude sein, ihn gesund werden zu sehen! Und sag’, werde ich mich auch wieder hierher finden können?

Der Erdbeerkönig erwiderte nichts, winkte aber der Jungfrau, ihm zu folgen.

Als sie nun eine Strecke gegangen waren, blieb der Erdbeerkönig plötzlich stehen und sprach:

„Ich führte dich durch’s Waldgehege;
Du bist nun auf bekanntem Wege.“

Magdalies blickte um sich: „Ei,“ rief sie erfreut, „da bin ich schon am Ziel!“

Wirklich lag das Anwesen des Bauern ganz nahe, so daß Magdalies sich mit Eile dorthin begeben wollte, nachdem sie dem Erdbeerkönig gedankt hatte.

Doch dieser gebot:

„Stell’ deinen Korb in das Gebüsch;
Dann lauf in’s Haus zum Bauern risch.
Die Bäuerin, – das wirst du seh’n –
Sie muß allein dich lassen geh’n.“ –

Magdalies tat, wie der Kleine wollte. Bald war sie im Hause, aber weder den Bauern, noch die Bäuerin erblickte sie, bis ein Stöhnen sie in den Stall führte. Da saß der Bauer, aus einer Kopfwunde blutend. Und wie sah die Bäuerin aus! Ihr Gesicht und ihre Hände waren braun und blau, voller Beulen und Schrunden.

„Was ist geschehen?“ rief Magdalies erschrocken.

Da erfuhr sie, daß die Kuh plötzlich ganz wild geworden sei und sich losgerissen habe. In dem Bemühen, sie zu bändigen, waren beide arg zugerichtet worden, so daß sie von dem Kampfe noch ganz erschöpft waren.

Magdalies verband dem Bauern seine Wunde, holte auch der Bäuerin Heilsalbe herbei und labte sie beide mit einem kühlenden Tränklein.
Als das Ehepaar drinnen in der Stube war, ging sie furchtlos zur Kuh, die sich willig von ihr wieder anbinden ließ. –

Erst dann fand sie Zeit, von ihrer Erdbeerernte zu berichten.

Die Bäuerin erhob sich hastig, um sich, wie sie sagte, zum Wege in die Stadt zu rüsten, während sie schon gierig ausrechnete, wie reich wohl die Belohnung ausfallen könne.

Doch der Bauer stellte sich ihr in den Weg: „Weib,“ herrschte er sie an, „willst in die Stadt, in’s Schloß, so wie du ausschaust? Bist wohl nicht gescheit? Da denken die Leut’ gar, ich hätt’ mein Weib geprügelt.“ –

„Denk’ doch an die Belohnung und an den kranken König,“ zeterte die Bäuerin. Doch so sehr der Bauer auch sonst das Gold liebte, heute schien ein anderer Geist in ihn gefahren zu sein, denn zornig begehrte er auf:

„Ach was, Belohnung hin, Belohnung her! An deinen Mann denkst du wohl nicht? In’s Haus gehörst du, Weib, deinem kranken Mann seine böse Wunde zu kühlen. Die Magdalies mag meinetwegen die Beeren ins Schloß bringen; du bleibst daheim!“

– – – – – – – – – – –

Wenige Stunden später hatte Magdalies das Stadttor erreicht. Sie war noch nicht oft in der Stadt gewesen, doch sie nahm sich trotzdem kaum Zeit, sich umzuschauen, denn sie eilte, ins Schloß zu kommen. So blickte sie auch nicht zur Seite, als sie Pferdegetrappel hinter sich vernahm, bis eine freundliche Stimme ihr zurief:

„Grüß Gott, Mägdelein! Kennst du mich noch? Bist doch das Vöglein aus dem Wald, das so schön singen kann und das verirrte Wanderer mit Erdbeeren erquickt?“

Magdalies erkannte den Ritter sogleich wieder; aber wie prächtig erschien er heute hoch zu Roß in reichem Schmuck!

Gern hätte sie seinen Namen gewußt. Sie knixte höflich, doch zu einer Antwort hatte sie nicht Zeit, denn der Ritter fragte: „Hast du auch deine Feder nicht vergessen?“

Die Jungfrau zog diese eilig hervor.

„So ist’s recht, Mägdelein. Was hast du in deinem Korbe?“

Auf diese Frage erzählte Magdalies zutraulich, daß sie Erdbeeren für den kranken König bringe.

„Gut! Ich wollte, du könntest ihn gesund machen!“ rief der Ritter erfreut. „Laufe einstweilen ins Schloß; die Feder öffnet dir alle Tore. Ich löse sie ein, denn du wirst mich bald daselbst sehen.“ –

Er winkte Magdalies freundlich zu und sprengte davon.

Wer mochte er nur sein? Gar zu gern hätte sie es gewußt.

Nicht lange, so war sie im Schloß.

Doch als sie fragte, ob man sie zum König lassen würde, lachten die Höflinge sie aus.

Magdalies waren die Tränen nahe. Da fiel ihr die Feder wieder ein.

Und siehe da, kaum hatten die Höflinge vernommen, welche Bewandtnis es mit derselben hatte, so waren sie wie umgewandelt.

Durch weite Gänge und prächtige Gemächer ward Magdalies geführt, die kaum wagte, sich umzublicken und nur auf den Fußspitzen zu gehen sich getraute, aus Angst, ihre groben Schuhe möchten etwas verderben.

In einem Gemach berieten eben die drei Leibärzte des Königs über ihren Patienten, als ein Diener meldete, daß ein Mägdelein die herrlichsten Erdbeeren für den König bringe, sie ihm aber gern selbst geben möchte.

Als Magdalies nun vor den Männern stand, die sie ernsthaft ausfragten, woher sie käme und wer sie sei, da ward sie wieder zaghaft, denn zwei der Leibärzte erklärten, daß es nicht anginge, ein fremdes Mädchen vor den König zu führen.

Der älteste der Leibärzte wiegte ebenfalls gedankenvoll sein graues Haupt; dann aber sprach er leise: „Mich will bedünken, daß der Anblick der Pflückerin und Bringerin dieser Beeren, wie ich so köstliche, meiner Treu, noch niemals sah, den König erfreuen dürfte. Vielleicht wohnt schon in den Händen dieses Mädchens, das offenbar ebenso brav als schön ist, eine besondere Heilkraft, die sich auf die Erdbeeren übertrug.“ Laut aber fragte er: „Warum willst du deine Beeren dem König selbst geben?“

„Der sie mir schenkte, befahl, daß ich selbst sie dem Könige reichen müsse, so sie ihm helfen sollten.“

„Und wer ist das?“

„Das darf ich nimmer sagen; aber er meint es gut mit dem Könige und mir.“

Der alte Hofmedikus betrachtete Magdalies wohlgefällig, denn trotz ihrer ärmlichen Kleidung war sie schöner wie das schönste Hoffräulein.
Mit sittsam gesenkten Blicken folgte sie den voranschreitenden Leibärzten.

In einem noch weit prächtigeren Gemach lag der König auf einem seidenen Ruhebett, ganz in kostbare Felle und Decken gehüllt.

Ein Diener brachte einen goldenen Teller, auf welchem Magdalies dem Kranken ihre Erdbeeren darreichen sollte.

Von den Aerzten geleitet nahte die Jungfrau sich zaghaft dem Lager, um dem Schwerkranken, der fast kein Glied rühren konnte, die roten Früchte zu reichen.

Bleich und steif lag der König da, der nur mit Mühe die Beeren zu sich nahm. Doch kaum hatte er einen Teil gegessen, als seine matten Augen sich belebten und er eifrig zu schlucken begann, während er den Blick nicht von der schönen Spenderin der Labe wandte.
Als der Teller leer war, richtete sich der Kranke ein wenig auf, durch Zeichen noch mehr von den Aerzten verlangend.

Während er nun den zweiten Teller leerte, färbten seine Wangen und Lippen sich rosig; seine Augen bekamen neuen Glanz, und als kaum die zweite Portion verzehrt war, richtete sich der König plötzlich auf.

Erschrocken wollten die Aerzte ihm diese vermeintliche Anstrengung wehren, doch der König kehrte sich nicht daran, sondern sprach: „Ich bin nicht mehr krank. Ich fühle, wie neues Leben meine Adern durchströmt und das verdanke ich nur diesem Mägdelein, oder vielmehr seinen köstlichen Erdbeeren. Auch meine Glieder haben ihre alte Kraft wiedererhalten; ich glaube, ich könnte wieder gehen wie in gesunden Tagen! Das danke ich nur dieser Jungfrau hier.“

Die Aerzte hörten solche Worte und sahen mit freudigem Staunen, wie der König zusehends kräftiger wurde. Zumal der alte Hofmedikus nickte wohlgefällig mit seinem grauen Haupt, indem er einwandte: „Wir freuen uns von Herzen über diese schnelle Besserung unseres geliebten Landesherrn; doch wollt Ihr, edler König, nicht vergessen, daß wir Euch die Erdbeeren verordneten!“

„Habt mich,“ lachte der König gutmütig; „auch schon genug damit gequält! – Aber sagt selbst: Hätte ich alle Erdbeeren aus allen meinen Wäldern verzehrt, sie hätten mir nicht so zu helfen vermocht, als diese hier. – Sprich, Mägdelein, worin soll die dir zustehende fürstliche Belohnung bestehen? Willst du schöne Kleider? Oder Gold? Oder ein Stück Land mit einem hübschen Häuschen und allem Zubehör?“

Der König fragte es freundlich, denn die Maid gefiel ihm gar wohl.

Doch Magdalies antwortete bescheiden: „In Euren Wäldern, edler König, wuchsen diese Beeren, die zu finden mein guter Stern mir half. Aber ich stehe in Lohn und Brot einer Bäuerin, die mich schickte und der ich alles geben muß.“

Während sie noch sprach, waren mehrere Personen in das Gemach getreten, und kaum hatte Magdalies geendet, als eine ihr nun schon bekannte Stimme rief: „Ein braves Mädchen bist du, und meinen Vater hast du auch gesund gemacht!“

Dort stand der Ritter im Kreise mehrerer Edelleute.

Magdalies wagte kaum aufzublicken. Sie begriff erst nicht recht den Sinn dieser Worte, bis es ihr klar wurde, daß der Ritter niemand anders war als der Königssohn selbst.

Er erzählte von seinem Zusammentreffen mit der Jungfrau im Walde und von der Feder, die er nun auch einlösen wolle.

„Mich dünkt,“ fuhr der Königssohn fort, „du, mein Vater, und ich sind dem Mägdlein beide unsere Anerkennung schuldig. Ich habe erkannt, daß sie nicht nur die schönste, sondern auch die tugendhafteste Jungfrau ist, die mit je begegnete. Darum, mein Vater, möchte ich dich bitten, sie mir zum Weibe zu geben.“

Magdalies glaubte ihren Ohren nicht zu trauen. Sie sah aber auch, wie der König erschrak und wie die Höflinge erstaunt dreinblickten. Sie ward bald blaß, bald rot. Wie ein Alp legte sich die Schwüle des Gemachs auf ihre Brust.

Nein, sie wollte kein Aergernis machen. Der schöne Königssohn sollte ihretwegen keinen Verdruß mit dem Vater haben.

Sie benutzte einen günstigen Augenblick, um sich davonzustehlen.

Glücklich fand sie den Ausgang des Schlosses und jagte nun, so schnell ihre Füße sie tragen wollten, dem Walde zu.

Hier wollte sie erst ihre Gedanken sammeln, ehe sie das Anwesen ihres Brotherrn betrat.

So saß sie, den Kopf in die Hand gestützt, auf dem bemoosten Waldboden, als sie plötzlich ein feines Stimmchen vernahm:

„Ist dir’s quer gegangen?
Laß den Kopf nicht hangen.“

Vor ihr stand der kleine Erdbeerkönig, sie teilnehmend betrachtend.

Magdalies empfand dies wohltuend. Es drängte sie, alles mitzuteilen, und so vertraute sie denn ihrem sonderbaren kleinen Freunde alles an, was ihr begegnet war. „Ach, lieber Erdbeerkönig,“ schloß sie, „nun wird mich der edle Prinz gewiß für recht undankbar halten! Und was wird die Bäuerin sagen, wenn ich ihr kein Geld heimbringe; sie wird mir das nicht verzeihen.“

Der Erdbeerkönig legte sein winziges Fingerchen an sein winziges Näschen, als ob er über einen Ausweg nachdenke. Dann tröstete er:

„Laß sie toben, laß sie schmälen!
Sie wird nimmer lang dich quälen.
Kehre heim mit frohem Mut;
Wird noch alles, alles gut.“

Magdalies dankte nun dem guten Erdbeerkönig herzlich; und nicht lange, so hatte sie das Haus erreicht.

Die Bäuerin verband eben ihrem stöhnenden Mann seine Wunde.

„Bleibst gar lang’ aus!“ empfing sie die Heimkehrende. „Hast gar schwer zu tragen gehabt? Zeig her die Belohnung; die mag den Bauern trösten!“

Als Magdalies nun, vor Angst bebend, bekannte, daß sie nichts heimbringe, da schalt und zeterte die Bäuerin, wie die arme Magd es noch nie gehört hatte. Die Erregte ließ das Mädchen gar nicht zu Worte kommen, sondern rief ihr schließlich zu:

„Und daß du’s weißt: So ein unbeholfen Ding kann ich nimmer brauchen. Kannst morgen früh deine Sachen packen und dir einen andern Dienst suchen.“

Magdalies hörte es mit Schrecken. Wohin sollte sie gehen? Sie wagte keine Bitte, fürchtete sie doch den Spott oder einen neuen Zornesausbruch der Bäuerin. Ebenso fürchtete sie ihre Fragen; denn die Wahrheit hätte sie sagen müssen, und dennoch widerstrebte es ihr, gerade der Bäuerin von den vielen Erlebnissen des heutigen Tages etwas mitzuteilen. So ging sie denn traurig ihrer Arbeit nach, bis sie endlich todmüde auf ihr hartes Lager sank.

Früh am Morgen packte sie ihre wenigen Habseligkeiten zusammen, doch war sie sehr betrübt, da sie nicht wußte, wohin sie sich wenden sollte.

Plötzlich erhob sich ein Getümmel vor dem Hause. Stimmen und Pferdegetrappel wurden laut. Ein glänzender Reiterzug hielt draußen.
Die Bäuerin lief mit hochrotem Kopfe eilig hinaus, da sie nicht anders dachte, als daß der König die ihr bestimmte Belohnung schickte, zumal die Reiter von den Pferden stiegen und ihr entgegenkamen.

„Wir bringen Botschaft vom König. Wo ist die schöne Jungfrau, die ihm die heilkräftigen Erdbeeren brachte?“

So fragten sie, und die Bäuerin, zu der sich nun auch der Bauer gesellt hatte, knixte gar manierlich, während sie eifrig entgegnete: „Die Dirn’ zu rufen, ist überflüssig, denn sie brachte die Beeren in meinem Auftrag und Dienst zu dem kranken König. So nehme auch ich den Lohn dafür in Empfang.“

Gerade trat Magdalies aus ihrem Kämmerlein, um sich von dem Ehepaar zu verabschieden. Sie hatte in dem entlegenen Raume wohl etliche verworrene Laute vernommen, doch keine Ahnung, um was es sich handelte.

Als sie nun die Männer in prächtiger Kleidung gewahrte, wollte sie erschreckt wieder zurückeilen; doch schon hatte einer von ihnen, ein Ritter, sie gesehen. „Dort ist die Jungfrau; ich kenne sie wieder!“ rief er, das widerstrebende, ganz verwirrte Mädchen zur Bäuerin führend. Diese blickte nicht eben freundlich auf Magdalies und zeterte wieder: „Ich sage es euch nochmals, daß der Lohn mir zukommt!“

Aber jetzt lachte der Ritter gar lustig auf: „Hahaha, Bäuerin, da möcht’ sich der Königssohn wohl bedanken, Euch zum Weibe zu begehren! So hört denn: Der König schickt mich und das Gefolge, um diese Jungfrau hier zum Königshof zu entbieten, weil sein Sohn, unser Prinz Arnulf, sie zum Weibe begehrt!“

Der Bauer und die Bäuerin machten große Augen. Die Bäuerin schnappte vor Erstaunen ein paarmal nach Luft, um dann noch röter als die rötesten Erdbeeren zu werden, als sie sah, wie der Ritter sich jetzt ehrerbietig vor Magdalies verneigte, ihr in wohlgesetzter Rede des Königs Botschaft nochmals verkündend.

Magdalies traute ihren Ohren kaum und wagte nicht aufzublicken, als sie zaghaft erwiderte: „O, edler Herr, treibt keinen Scherz mit mir! Es kann doch nimmer dem Könige recht sein, eine so arme niedere Magd, wie ich es bin, zur Schwiegertochter zu bekommen. Ich will keinen Unfrieden zwischen ihn und seinen Sohn bringen.“

Doch schnell nahm der Ritter das Wort: „Ehrenwerte Jungfrau, der König ist durch Eure Erdbeeren gänzlich genesen. Er hat Euch gestern nach Eurem Verschwinden durch Boten überall suchen lassen, und etliche sind Euch denn unbemerkt bis hierher gefolgt, um uns heute den Weg zu weisen. Draußen steht ein Zelter für Euch bereit. Und nun rüstet Euch! Wir geben Euch das Geleit. Der Prinz erwartet seine Braut vor der Stadt, um sie ins Schloß zu geleiten.“

Dann winkte der Ritter einem Pagen, der ein großes und ein kleines Bündel brachte. Der Ritter übergab beides der Bäuerin, die gierig danach griff.

„So,“ sprach er, „das kleine Bündel ist für Euch. Der König schickt es, damit Ihr nicht leer ausgeht. Ihr mögt den Sonntagsstaat für Euch und Euren Mann nachher auspacken. Jetzt helft hurtig dieser Jungfrau, daß sie die Kleider, die der König ihr in dem großen Bündel schickt, sogleich anlege, damit die Braut des Königssohnes würdig geschmückt in die Stadt einziehe.“

Die Worte klangen so befehlend, daß die ganz eingeschüchterte Bäuerin nur kleinlaut ihren Dank, aber kein Wort der Widerrede zu sprechen wagte.

Nicht lange, so trat Magdalies abermals aus ihrem Kämmerlein heraus. Doch welche Veränderung war mir ihr vorgegangen! Die Männer verneigten sich ehrerbietig und bewundernd vor der glücklichen Jungfrau, die mit königlichem Anstand, schöner als je, und geschmückt wie eine Prinzessin, daherschritt.

Führwahr, selbst die Bäuerin mußte zugeben, daß weit und breit keine schönere Edeldame gefunden werden könne als die ehemalige Magd, die nun so plötzlich zu solch’ hoher Ehre gelangt war.

Nachdem Magdalies sich freundlich und ohne Groll von dem Bauern und Bäuerin verabschiedet und ihren Zelter bestiegen hatte, erreichte sie mit ihrem Gefolge bald die Stelle, an welcher der Königssohn, ebenfalls hoch zu Roß und mit glänzendem Gefolge, sie erwartete.
Im Schloß wurde die Jungfrau von dem nun ganz gesunden König mit allen Ehren empfangen, und es fand bald eine glänzende Hochzeit statt.

Als diese festlichen Tage vorüber waren, da bat die nunmehrige Prinzessin Magdalies ihren Gemahl, dem sie natürlich alles erzählt hatte, mit ihr den Erdbeerkönig aufsuchen zu wollen, um ihm, dem sie doch eigentlich beide ihr Glück verdankten, vereint ihren Dank auszusprechen.

Mit Freuden erfüllte der Königssohn diesen Wunsch seiner Gemahlin.

Fröhlich wie die Kinder gingen sie durch den Wald. Magdalies mußte singen, wie damals, als der Prinz sie zuerst daselbst gefunden hatte. Zwischendurch rief sie wieder und immer wieder nach dem Erdbeerkönig, bis dieser endlich vor dem jungen Paare stand, das ihm nun von seinem Glück erzählte und seinen Dank ausdrückte.

Der Erdbeerkönig hörte es mit wohlgefälligem Kopfnicken an. Dann zog er unter seinem Mäntlein zwei köstliche Erdbeeren hervor, die eine Magdalies, die andere dem Prinzen Arnulf reichend, während er sprach:

„Mögt’ essen diese Beeren,
Die aller Krankheit wehren,
Euch langes Glück bescheren!“

Mit diesen Worten verschwand er; aber seine Prophezeiung erfüllte sich. Beiden war viel Glück beschieden.

Als nach Jahren der alte König abermals erkrankte, eilte Magdalies wieder in den Wald, um den Erdbeerkönig noch einmal um die heilkräftigen Erdbeeren zu bitten. Doch sie fand weder den Gesuchten noch seine Wunderfrüchte. Der König wurde diesesmal nicht wieder gesund.

Nach seinem Tode wurde sein Sohn König.

Und so ward aus der armen Magd Magdalies eine Königin, die lebenslang von ihrem ganzen Volk geliebt und geehrt wurde, weil sie den Armen und Kranken half, so viel sie vermochte.

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