Die Badekur

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Ein alter Affe saß auf einem Kokosbaum und brummte böse. Er war sehr verstimmt, denn er hatte Rheumatismus in den Beinen. Er war kein gewöhnlicher Affe, sondern das Haupt einer zahlreichen Familie, ein Affenbürgermeister. Wenn ein gewöhnlicher Affe Rheumatismus hat, so ist das nur störend für ihn selbst; wenn aber ein hochgestellter Affe Rheumatismus hat, so ist das nicht nur ihm selber unangenehm, sondern auch überaus peinvoll für seine Umgebung.

Alle Affen dieser Familie empfanden das; denn wenn jemand dem alten Affen »Guten Morgen, Euer Fellgeboren!« sagte, so fletschte er die Zähne, und wenn ihn jemand nach seinem Befinden fragte, so gab er dem Teilnahmsvollen eine Ohrfeige oder trat nach ihm mit dem rheumatischen Bein. Er war eben ein hochgestellter Affe.

Man sah allerdings ein, daß das so nicht weitergehen konnte, und beschloß im engeren Affenrat, diesen hochgestellten Rheumatismus zu heilen. So kam man überein, zwei alte Marabus zu konsultieren, berühmte Ärzte und Autoritäten auf ihrem Gebiet. Die beiden Marabus kamen bereitwillig, sie waren wohlwollende Herren, und der Fall interessierte sie sachlich, denn ein hochgestellter Rheumatismus ist nichts Alltägliches.

Der eine Marabu hatte noch ein wenig Federflaum auf dem Kopfe, er war Medizinalrat, der andere hatte einen ganz kahlen Kopf und war Geheimer Medizinalrat. Beide gingen auf hohen dünnen Stelzen und hatten einen großen Schnabel.

Der alte Affe war knurrend vom Baum gestiegen und zeigte mürrisch seine Beine. Die Marabus verbeugten sich weltmännisch und plusterten sich vor Sachverständnis. Sie fühlten dem alten Affen mit der Kralle den Puls und betasteten und beäugten die rheumatischen Beine.

»Äußert sich Ihr Rheumatismus in sehr hinderlicher Weise?« fragte der Medizinalrat und sah den alten Affen von einer Seite an.

»Beim Klettern, rein beruflich, hindert er mich eigentlich weniger«, sagte der alte Affe, dem die beiden Medizinalräte sehr imponierten, »aber in Familienangelegenheiten wirkt er überaus störend. Wenn ich, zum Beispiel, einen meiner Angehörigen trete, so merke ich deutlich, daß dies nicht mehr mit der gewohnten jugendlichen Schwungkraft und für mich selbst nicht schmerzlos vor sich geht. Ich habe schon in letzter Zeit auf diese mir liebe Gewohnheit verzichten müssen und mich mit Ohrfeigen begnügt. Auf die Dauer aber ist mir das nicht bekömmlich, und es untergräbt auch meine Autorität.«

»Begreiflich, sehr begreiflich«, sagte der Geheime Medizinalrat, »also eine Störung der familiären, als auch der sozialen Tätigkeit von bedenklicher Wirkung.«

»Es scheint mir Muskelrheumatismus zu sein«, sagte der Medizinalrat und kratzte sich mit der Kralle den Flaum auf dem Kopf, »rheumatismus musculorum.«

»Es könnte auch Gicht sein«, sagte der Geheime Medizinalrat und hüstelte durch den Schnabel, »arthritis urica mit der Prädilektionsstelle des großen Zehs. Die klinischen Untersuchungen hierüber sind noch nicht abgeschlossen.«

»Ich trete meine Angehörigen mit der Fußsohle und nicht mit dem großen Zeh«, sagte der Affe.

»Ein wertvoller Hinweis«, sagte der Medizinalrat, »ein sehr wertvoller Hinweis von großer Tragweite. Ich möchte mich doch für rheumatismus musculorum aussprechen, Herr Kollege. Wie wäre es mit der autosuggestiven Methode? Sagen Sie einmal deutlich und vernehmbar vor sich hin, mit innerer Überzeugung: ich habe keinen Rheumatismus mehr, es geht mir mit jedem Tage besser.«

»Es geht mir mit jedem Tage besser«, sagte der alte Affe, »ich habe keinen Rheumatismus mehr.«

»Sagen Sie weiter«, riet der Geheime Medizinalrat, »sagen Sie: ich trete meine Angehörigen bequem und schmerzlos, es gibt überhaupt keinen Rheumatismus.«

»Ich trete meine Angehörigen bequem und schmerzlos«, wiederholte der alte Affe, »es geht mir mit jedem Tage besser, es gibt überhaupt keinen Rheumatismus – ach, wie's mich jetzt wieder reißt!«

»Die autosuggestive Methode scheint sich in diesem speziellen Falle nicht zu bewähren«, sagte der Geheime Medizinalrat, »die klinischen Untersuchungen hierüber sind noch nicht abgeschlossen.«

»Es ist ein hartnäckiger Fall«, sagte der Medizinalrat, »rheumatismus musculorum chronicus. Ich würde eine Badekur in Vorschlag bringen, Schlammbäder, balnea limosa.«

»Baden tue ich auf keinen Fall«, sagte der alte Affe, »ich will zu Hause bleiben – bleibe auf deinem Baum und nähre dich redlich!«

»Begreiflich, sehr begreiflich«, sagte der Geheime Medizinalrat, »vielleicht versuchen wir es noch mit der Psychoanalyse. Haben Sie nicht einen dunklen Punkt in Ihrem Leben? Denken Sie scharf nach, sehr scharf, und seien Sie ganz offen gegen sich selbst und gegen uns – vielleicht kommen wir dann der Ursache dieses rheumatismus musculorum auf die Spur.«

»Wenn ich offen sein soll«, sagte der alte Affe, »so wünschte ich, diese beiden kakelnden Marabus ließen mich in Ruhe, und dunkle Punkte habe ich keine gehabt außer Flöhen, und die konnten mir keinen Rheumatismus übertragen, sie haben selbst keinen, denn es sind sehr bewegliche Leute.«

»Ich bin doch für die Badekur«, sagte der Medizinalrat.

»Ich will wieder auf meinen Baum«, sagte der alte Affe und ruderte mit seinen langen Armen auf eine Kokospalme zu. Aber die Familie lief hinter ihm her und hängte sich an seinen Schwanz. Alles redete schnatternd auf ihn ein, er möge doch diese wunderbare Badekur versuchen und die Marabus wären wirkliche Kapazitäten.

»Es ist ganz nahe von hier«, sagte der Medizinalrat, »ein vornehmes und sehr komfortables Bad. Die Badefrau ist eine gute Bekannte von mir, eine würdige und zuverlässige Dame, über hundert Jahre alt, es ist alle Bequemlichkeit vorhanden, und die Badeeinrichtungen sind nach europäischem Muster.«

Beide Medizinalräte nahmen den alten Affen in ihre Mitte und führten ihn nach dem Badeort. Sie stelzten hochbeinig und würdevoll, sie gestikulierten mit Flügeln und redeten eifrig über den rheumatismus musculorum. Die ganze Affenschar folgte ihnen schnatternd und voller Erwartung.

Bald waren sie angelangt. Es war ein sehr vornehmer Badeort, am Ufer des Nils, wirklich ganz europäisch und voller Schlamm. Auf den Bäumen am Ufer saßen die Papageien, einer bunter als der andere, und schwatzten über die neuesten Nachrichten. Der Badestrand war frei und wurde gerade von einem Rhinozeros glattgetrampelt.

»Ist das die Badefrau, mit zwei Hörnern auf der Nase?« fragte der alte Affe besorgt.

»Nein, das ist die Obrigkeit dieses Badeortes«, erklärten die Marabus, »sie trampelt alles zusammen, damit es einheitlich aussieht. Es ist überhaupt ein ganz europäischer Ort.«

Das Rhinozeros trampelte emsig, schnüffelte mit der Nase in allem herum und steckte sein Horn in Dinge, die es nichts angingen. Wenn es etwas ganz Zweckloses fand, dann grunzte es vor Vergnügen.

»Muß die Obrigkeit so sein?« fragte der alte Affe.

»Über das Wesen der Behörden sind die klinischen Untersuchungen noch nicht abgeschlossen«, sagte der Geheime Medizinalrat.

»Hier der große dicke Herr ist der Bademeister«, sagte der Medizinalrat und zeigte mit dem Flügel auf einen Elefanten, der den langen Rüssel hin und her bewegte. »Er spritzt Sie nach dem Bade mit einem Schlauch ab. Er tut das aus lauter Gefälligkeit, es ist ein sehr wertvolles therapeutisches Mittel. Dazwischen trompetet er, um die Badekapelle zu ersetzen. Eine solche haben wir noch nicht, wir stehen aber mit einigen Hyänen in Verhandlung, die regelmäßig jeden Abend Wüstencouplets singen sollen. Leider verlangen sie, für ihre Mühe jemand aufzufressen, und solange wir noch nicht viel Badegäste haben, ist uns das zu kostspielig. Hier diese kleinen Äffchen hausieren; Sie sehen, es ist ein richtiges Modebad.« Die drei kleinen Affen tanzten eifrig um den alten Affen herum.

»Fellkratzen, Frisieren, Flöhe fangen, Läuse suchen – kostet eine Banane – im Abonnement billiger!« rief der eine.

»Ach was«, knurrte der alte Affe, »mein Grundsatz ist: Lause zu Hause! Ich wollte, ich wäre auf meinem Baum.«

Die beiden anderen Äffchen näherten sich.

»Trockene Blätter zum Frottieren gefällig? Eine Dattel das Stück, schöne trockne Frottierblätter!«

»Kokosschalen, Schilfringe, hübsche Andenken gefällig?«

»Ich werde auch so an dieses Bad denken, solange ich lebe«, sagte der alte Affe.

»Hier ist die Badestelle«, sagte der Geheime Medizinalrat, »Sie brauchen nur die Beine mit dem rheumatismus musculorum hineinzustecken, wenn es Ihnen unangenehm sein sollte, ganz unterzutauchen. Wenn die Beine drin sind, zieht es das Blut nach unten.«

»Und die Flöhe nach oben«, sagte der alte Affe.

Aus dem Flusse klang ein schreckliches Schnarchen, Grunzen und Gurgeln, und ein gewaltiges Nilpferd tauchte auf.

»Die Badefrau!« rief der Medizinalrat erfreut und winkte mit der Kralle, »dieser Patient will ein Schlammbad nehmen, balnea limosa, er leidet an rheumatismus musculorum.«

»Das ist die Badefrau?!« schrie der alte Affe, »ich will nach Hause! Ich will auf meinen Baum!«

Die Badefrau lächelte mit einem Mund von einigen Metern und machte sich daran, das Schlammbad aufzuwühlen, was ihr vorzüglich gelang, denn es war eine sehr erfahrene und tüchtige Person.

»Ich will nach Hause!« schrie der alte Affe und schob die dünnen Stelzen der beiden Medizinalräte beiseite.

»Hinein mit Ihnen!« kommandierte das Rhinozeros, »machen Sie keine Umstände, andere wollen auch noch baden, und ich selbst will hinein!«

»Bitte, bitte, nach Ihnen, nach Ihnen«, sagte der alte Affe, aber schon fühlte er das obrigkeitliche Horn der Nase im Rücken und fiel kopfüber ins Wasser, beinahe in die Arme der Badefrau.

In einer Sekunde war er wieder draußen, grün und unkenntlich vor Schlamm. In diesem Augenblick spritzte der Bademeister mit seinem Rüssel, und dem alten Affen war es, als sause der rheumatismus musculorum aus den Beinen in die Hände, aus den Händen in den Kopf, aus dem Kopf in den Schwanz und aus dem Schwanz heraus. Denn der Elefant war ein Meister der Dusche. Die Marabus kakelten beifällig, die Badefrau lächelte freundlich, und die Affenfamilie johlte vor Vergnügen.

Neben der Badefrau aber tauchte ein Krokodil auf, grünlich und mit blitzenden Augen.

»Massage gefällig?« fragte es und zeigte empfehlend die Tatzen, »Massage gefällig?«

Der alte Affe sprang mit einem unwahrscheinlich großen Satz vom Badestrand fort in einen sicheren Hintergrund.

»Wie denken Sie über den Fall, Herr Kollege?« fragte der Geheime Medizinalrat, »ist dies eine geprüfte Masseuse?«

»Mir scheint, dies ist mehr eine Masseuse, die andere geprüft hat«, sagte der Medizinalrat.

»Über die Zweckmäßigkeit der Massage mit Krokodilstatzen sind die klinischen Untersuchungen noch nicht abgeschlossen«, sagte der Geheime Medizinalrat.

»Ich kenne diese Masseuse«, sagte der Medizinalrat, »sie hat einmal einen Patienten massiert, der ebenfalls an rheumatismus musculorum litt. Der Rheumatismus verlor sich bei der Massage, aber der Patient auch. Ich habe seitdem die Masseuse nicht mehr empfehlen können, Herr Kollege.«

»Begreiflich, sehr begreiflich, Herr Kollege«, sagte der Geheime Medizinalrat, »es stehen immer noch manche Ärzte auf dem Standpunkt, daß die Beseitigung der Krankheit nicht unbedingt mit der gleichzeitigen Beseitigung des Patienten erfolgen müsse. Aber auch hierüber sind die klinischen Untersuchungen noch nicht abgeschlossen.«

Beide sahen sich nach dem alten Affen um. Aber der war verschwunden und die ganze Affenfamilie mit ihm. Sie hatten den Anblick der Masseuse nicht ertragen können.

Am anderen Tage machten sich die beiden Medizinalräte auf den Weg, um dem alten Affen einen Krankenbesuch abzustatten.

Sie kamen aber nicht weit. Der alte Affe saß auf seinem Baum und schmiß mit Kokosnüssen.

Die eine Kokosnuß traf den Medizinalrat auf den Kopf, so daß er eine Beule davontrug, die erheblich anschwoll.

»Ich muß diese Beule kühlen, Herr Kollege«, sagte der Medizinalrat, »auch habe ich den unbestimmten Eindruck, als ob wir von dem geplanten Krankenbesuche lieber absehen sollten.«

»Begreiflich, sehr begreiflich, Herr Kollege«, sagte der Geheime Medizinalrat, und beide zogen sich an einen Bach zurück.

Hier kühlte der Medizinalrat seine Beule, und der Geheime Medizinalrat trug das Ergebnis der Badekur sorgsam in sein Krankenbuch aus Palmenblättern ein.

Er buchte mit wissenschaftlicher Genauigkeit:

»Patient ein hochgestellter Affe – rheumatismus musculorum in den Beinen – autosuggestive Methode und Psychoanalyse vergeblich – Badekur, Schlammbad, balnea limosa – Patient geheilt, schmeißt jedoch mit Kokosnüssen, jactatio nucis – bis zur Beulenbildung beim behandelnden Medizinalrat, Kopfbeule, tumor capitis. – Ob jactatio nucis Folgeerscheinung von balnea limosa oder Nachkrankheit von rheumatismus musculorum, darüber sind die klinischen Untersuchungen noch nicht abgeschlossen.«

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Auch von Manfred Kyber